MOTIVATIONAL INTERVIEWING

In vielen Berufs- und Arbeitsfeldern ist es erforderlich, Gespräche „geschmeidig“ und gleichzeitig zielorientiert führen zu können. Dies ist gerade dann notwendig und zugleich anspruchsvoll, wenn es um „heikle Themen“ (z.B. Krankheit, Substanzkonsum, Unpünktlichkeit, mangelnde Kooperation etc.) geht und man  „schwierige“ GesprächspartnerInnen hat. Oft erscheint in solchen Situationen die Gesprächsbereitschaft betroffener KlientInnen gering und man ist mit aufkeimendem Widerstand konfrontiert.

 

Wie kann man trotzdem den Einstieg in ein konstruktives Gespräch finden, das Gespräch in einem guten Miteinander führen und Verhaltensänderungen anbahnen?

Für diese Zielsetzungen stellt die von William Miller (USA) und Stephen Rollnick (Wales) entwickelte „Motivierende Gesprächsführung“ (“Motivational Interviewing”, abgekürzt „MI“) den maßgeschneiderten, weltweit führenden Ansatz der Gesprächsführung und Beratung dar.
In der Motivierenden Gesprächsführung wird ein partnerschaftlicher, nicht-bevormundender, dialogischer, ziel- und veränderungsorientierter Austausch auf Augenhöhe („inter-view“) angestrebt (Sinnbild: ein gemeinsamer Tanz) und durch eine Kombination bekannter und neuer Methoden umgesetzt. Die Motivierende Gesprächsführung kann als alleiniger Ansatz der Gesprächsführung oder zusammen mit anderen, im Arbeitsfeld etablierten Methoden/Maßnahmen (z.B. Hilfeplangespräche, Arbeitsvermittlung, Elterngespräche, Hausbesuche, Kritikgespräche, MitarbeiterInnengespräche, Arzt-/Pflegegespräche, Psychotherapie usw.) angewandt werden.

WO WIRD MI EINGESETZT?

MI kommt in einer breiten Palette von Altersgruppen und Berufsfeldern zum Einsatz:

Wohnungslosenhilfe, Jugendhilfe, Suchthilfe, psychiatrische Arbeitsfelder, medizinisches Behandlungssystem, Pflege, Jobcenter, Verkehrspsychologie/ MPU, Psychotherapie, Straffälligenhilfe u.v.a.m.

Durch MI werden Verhaltensänderungen in folgenden Bereichen angestrebt:

| Suchtverhalten (Alkohol, illegale Drogen, Zigaretten, Glücksspiel, Essverhalten)
| Psychiatrische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Posttraumatische
  Belastungsstörungen, Psychosen, Suizidalität, Zwänge
| Körperliche Erkrankungen (z.B. Asthma, Diabetes, kardiologische
  Erkrankungen, Rückenschmerzen, Multiple Sklerose)
| Gesundheitsbezogenes Verhalten (Bewegung, Dentalhygiene, gesunde
  Ernährung) Delinquenz, Gewaltverhalten etc.
| Sexuell riskantes Verhalten (z.B. Schutz vor übertragbaren
Geschlechtskrankheiten [z.B. HIV-/AIDS-Prophylaxe])
| Mitwirkung in der Behandlung („compliance“, z.B. vereinbarungsgemäße
  Einnahme von Medikamenten)
| Arbeitsverhalten (z.B. Förderung von MitarbeiterInnenmotivation, Kritik- und
  MitarbeiterInnengespräche)

Haltung in MI

Haltung

MI ist geprägt durch eine respektvolle, partnerschaftliche Begegnung auf Augenhöhe, in der die Überlegungen und Entscheidungen der GesprächspartnerInnen und ihr Wohl elementar sind.
Folgende vier Merkmale charakterisieren somit den „Geist“ („spirit“, „heartset and mindset“, „way of being with people“) von MI:

| partnerschaftlicher (statt paternalistischer) Umgang
| akzeptierend/ Autonomie wahrend (statt bevormundend)
| entlockend (statt eintrichternd)
| am Wohl der anderen Person interessiert (statt auf Eigennutz bedacht)

Grundannahme

Menschen sind, wenn es um Veränderung geht, meist zwiespältig: Es gibt aus ihrer Sicht gute Gründe gegen, aber auch gute Gründe für eine Veränderung. Diese guten Argumente für Veränderung schlummern also bereits im Gegenüber – sie müssen nur entlockt und von ihm selbst vorgebracht (statt eingetrichtert) werden. Das genau ist die Zielsetzung von MI: Dass KlientInnen zur FürsprecherIn der eigenen Veränderung werden.

METHODEN-ÜBERSICHT

MI ist eine personenzentrierte, zielgerichtete Methode, die durch Erkundung und Auflösung der Änderungsambivalenz des/ der GesprächspartnerIn, die intrinsische Motivation für eine Veränderung erhöhen soll.

In MI kommen verschiedene Methodengruppen zum Einsatz:

| Die Grundmethoden (OARS-Methoden nach den englischen Begriffen für):
  Offene Fragen/ Wertschätzung/ Aktives Zuhören/ Zusammenfassung
| Die Methode zum Informationsaustausch
| Die Methoden zur Förderung von „change talk“
| Die Methoden zur Förderung von „confidence talk“
| Die Methoden zum Umgang mit Widerstand („sustain talk“/ „discord“)

Veröffentlichungen

Körkel, J. (2022). Psychopharmakolog. u. psychotherapeutische Behandlungsstrategien bei Sucht. JATROS Neurologie & Psychiatrie, 1, 43-47.

Körkel, J. (2012a). 30 Jahre Motivational Interviewing: Eine Übersicht und Standortbestimmung. Suchttherapie, 13, 108–118.

Körkel, J. (2012b). „Motivational Interviewing meets Behavioral Self-Control Training“: Konsumreduktionsprogramme in der Praxis. Suchttherapie, 13, 126-131.

Körkel, J. (2010). Motivational Interviewing bei Doppeldiagnose-Patienten. In Sadowski, H. & Niestrat, F. (Hrsg.), Psychose und Sucht. Behandlung und Rehabilitation (S. 108 – 123). Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Körkel, J. (2009). Replik zum Leserbrief von Reymann „Motivational Interviewing: Ethische Betrachtungen“. Suchttherapie, 10, 37-38.

Körkel, J. (2008). Motivational Interviewing: Ethische Betrachtungen. Suchttherapie, 9, 181-184.

Körkel, J. & Veltrup, C. (2003). Motivational Interviewing: Eine Übersicht. Suchttherapie, 4, 115-124.

Körkel, J. & Drinkmann, A. (2002). Wie motiviert man “unmotivierte” Klienten? Sozialmagazin, 27, 26-34. 

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BÜCHER ZU MI (EINE AUSWAHL)

Hohman, M (2012). Motivational Interviewing in Social Work Practice. New York: Guilford Press.

Kremer, G. & Schulz, M. (2016). Motivierende Gesprächsführung in der Psychiatrie (3. Aufl.). Bonn: Psychiatrie Verlag.

Miller, W. (2020). Gut(es) zuhören: die Kunst empatischen Verstehens (1. Auflage). Lichtenau, Westfalen: G.P. Probst Verlag.

Miller, W.R. & Moyers, T.B. (2021). Clinical Skills That Improve Client Outcomes. New York: Guilford Press.

Miller, W., & Rollnick, S. (2023). Motivational Interviewing: Helping People Change (4. Edition). New York: Guilford Publications.

Naar-King, S. & Suarez, M. (2012). Motivierende Gesprächsführung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Weinheim: Beltz (Original: 2011).

Rollnick, S., Fader, J. et al. (2019). Coaching Athletes to Be Their Best: Motivational Interviewing in Sports (Applications of Motivational Interviewing). New York: Guilford Press.

Rosengren, D.B. (2020). Arbeitsbuch Motivierende Gesprächsführung. Lichtenau: G.P. Probst (Original 2009 [1. Aufl.]).

Stinson, J. D. & Clark, Michael. D. (2017). Motivational Interviewing with offenders. Engagement, Rehabilitation and Reentry. New York: Guilford Press.

Wilcox, J. & Kersh, B. (2017). Motivational Interviewing for Leadership: MI-LEAD. New York: Guilford Press.

MINT

MOTIVATIONAL INTERVIEWING NETWORK OF TRAINERS – WELTWEIT VERNETZT

William R. („Bill“) Miller und Stephen Rollnick gründeten 1997 das „Motivational Interviewing Network of Trainers“ (MINT). Dieses internationale Netzwerk von TrainerInnen (MINTies) ist zwischenzeitlich in 35 Ländern und mehr als 20 Sprachen vertreten.

Das internationale Netzwerk arbeitet stetig an der Weiterentwicklung von Motivational Interviewing und seiner didaktischen Vermittlung.

Weitere Informationen: MINT-International